Ein Treppenhaus (Kurzprosa)

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02.06.2018

Er bemühte sich, die Treppe langsam hoch zu steigen. Jeder Schritt gut überlegt. Sinnloser Versuch, die Uhr zu betrügen. Das Treppenhaus roch angenehm. Nach Holz und Putzmittel. Die Stufen waren mit Teppich belegt. Zumindest zweidrittel jeder Stufe. Das Geländer war glatt. Ein gutes Gefühl, die Hände darüber gleiten zu lassen. Er war zu früh. Schon den ganzen Hinweg hatte er versucht, Zeit zu sparen. Aber mit Zeit konnte er nicht umgehen. Es gibt solche Menschen. Und er war einer von ihnen. Ein Schweißtropfen lief in sein Auge. Es brannte. Er nahm die Brille ab und rieb mit dem Zeigefinger das geschlossene Auge. Wieder ein paar Sekunden gespart. Von den Temperaturen her war es bereits Sommer. Aber das täuscht. Man kann sich da heute ja nicht mehr sicher sein. Und so einer wie er schon gar nicht. Im ersten Stock war eine Werbeagentur. Das Glasschild neben der Tür trug den Schriftzug SIMAG. Mit bunten Wellen verziert. Er mochte es bunt. Aber Werbung konnte er nicht leiden. Der Blick nach oben kam zögerlich. Es gab einfach nicht genug Stufen in diesem Haus. Eine junge Frau kam die Treppe herunter. Er machte ihr Platz. Ohne Worte ging sie weiter. Ein süßlicher Duft lief ihr nach. Im zweiten Stock saß ein Rechtsanwalt. Wehmeier stand auf dem Schild. Ein gepolsterter Stuhl stand neben der Tür. Er setzte sich kurz. Schaute auf die Uhr. Zwanzig nach zwei. Sein Termin war um halb drei. Bis in den Vierten würde er keine 10 Minuten brauchen. Er kramte sein Handy aus der Tasche. Keine neuen Nachrichten. Wenn man welche braucht, sind meistens keine da. Er steckte es zurück. Stand auf und ging weiter. Im dritten Stock saß ein Psychologe. Bertram Heisenberg. Die Psychologie war ihm suspekt. Und er glaubte nicht daran. Trotzdem wollte er es irgendwann einmal probieren. Aber jetzt hatte er einen Termin im Vierten. Unter dem Dach. Bei der Hitze. Seine Füße stiegen weiter. Noch ein paar Stufen. Mehr Zeit ließ sich nicht rausholen. Der letzte Schritt und und er starrte auf das Schild. Durchgeschwitzt. Zu früh. Tom Malecki stand da drauf. Auftragsmörder. Die Uhr zeigte 14:24. Ein Stuhl stand hier nicht. Er wischte mit dem Arm den Schweiß von der Stirn. Tom Malecki Auftragsmörder. Ist es dafür nicht zu heiß? Er drehte sich um. Ließ einen Fuß auf die erste Stufe gleiten. Den anderen auf die nächste. Eine nach der anderen. So wie er gekommen war. Langsam. Bedächtig. Voller Zweifel. Und dennoch war er im dritten Stock gelandet. Bertram Heisenberg. Psychologe. Er öffnete die Tür und ein süßlicher Duft kam ihm entgegen.

 

© Ulrich P. Hinz

 

Foto: Tama66

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