Warten (Kurzprosa)

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Du bist schon wieder zu spät. Sinnlos patrouilliere ich hier vor diesem Restaurant, in das du unbedingt wolltest. Weißt du, wie viele Leute schon an mir vorbei gegangen sind? Die schauen mich ganz komisch an. Jemand der wartet, fällt auf. Eine Dönerbude gleich neben einem Edelrestaurant. Hier ist was los, und ich mitten drin. Und doch außen vor. Jedes mal, wenn jemand um die Ecke biegt, hoffe ich, dass du es bist. Selbst ein Geschwader Mauersegler ist schon dreimal mit Angriffsgeheul hier Attacke geflogen. Gegenüber ist ein kleines Frisörgeschäft. Die haben noch auf. Vielleicht sollte ich mir die Haare machen lassen. Du würdest hier auftauchen und den Kopf ungläubig in alle Richtungen drehen. Deine Uhr würdest du überprüfen und versuchen, durch das Restaurantfenster zu sehen. Vielleicht sogar würdest du drinnen nach mir suchen. Während ich genüsslich in einen Spiegel schaue. Wie der Meister an meinem Haar experimentiert. Dabei tratschen wir. Und die Scheren schnippen. Drei Stühle weiter wäscht man einer Dame den Kopf.

Wenn die Mauersegler so tief fliegen, könnte es Regen geben. Das würde das Bild abrunden. „Warum hast du denn nicht drinnen auf mich gewartet?“, höre ich deine Stimme jetzt schon sagen. Warum? Warum? Herrschaftszeiten, weil man ein Restaurant gemeinsam betritt. Denke ich mir. Oder ist das verkehrt? Ich weiß es nicht mehr. Was ich weiß ist, dass mir der Himmel gar nicht gefällt. Die Sommergewitter sind brutaler geworden in den letzten Jahren. Mal abgesehen vom Klimawandel sehe ich schon die morgige Schlagzeile. Wartender vom Blitz erschlagen. Aber noch hält es sich. Vor der Dönerbude stehen ein paar Kids und trinken Bier. Laut sind die. Und ihr Lachen hallte durch die Straße.

Wo zum Teufel steckst du? Wie viele tausende von Stunden man doch mit Warten verschwendet. Besonders schlimm ist es an den Kassen im Supermarkt. Murphy’s Law schlägt nirgendwo härter zu. Ich versuche es stoisch zu tragen. Selbst wenn ich sehe, wie sich die Schlange, an die ich mich nicht gestellt habe, in Windeseile auflöst, der Typ, der an meiner Kasse gerade dran ist, sein Obst nicht abgewogen hat und dann natürlich noch einmal durch den gesamten Laden muss, selbst dann lächle ich innerlich. Ich bin ganz ruhig. Es ist wie es ist. Alles wird gut. Und dann merke ich, wie es aus mir hinaus fließt. Wie der Teil in mir, der fest entschlossen war, die Pumpgun aus dem Trenchcoat zu ziehen, um diesem verdammten Drecksack seinen hässlichen Kopf von seinen unfähigen Schultern zu ballern, um dann wie Arnold Schwarzenegger einen kernigen Spruch etwa wie „Nicht in meinem Supermarkt, Baby!“ direkt in die Kamera zu grinsen, genau dieser Teil in mir hält ein. Ist ganz ruhig. Seneca sei Dank.

Eine alte Oma kommt angewackelt. Ihre bläulich schimmernden Haare unter einem durchsichtigen Regenschutz aus Plastik verstaut. Immerhin droht es ja. Jeder zweite Schritt scheint ihr einen leichten Schmerz zu bereiten. Aber wirklich unglücklich sieht sie nicht aus. Die hat noch ganz andere Zeiten erlebt. Zeiten, in denen das Warten in diversen Schlangen Überleben hieß. So was kennt man heute nur noch aus dem Fernseher. Und selbst das scheint nur Illusion. Sie lächelt mir zu. Ich wünsche dir einen schönen Abend meine Süße. Denke ich mir.

Bei den Kids fängt das Bier an zu wirken. Ein Taxi schießt mit fast 70 Sachen vorbei. Ja, die haben es eilig. Die Taximänner. Wobei, es gibt zwei Arten von Taxifahrern. Die einen, die auf dem Weg sind, jemanden abzuholen. Und die anderen, die bereits einen Fahrgast an Bord haben. Letztere Kategorie Fahrer benehmen sich oftmals wie absolute Fahranfänger. Sie halten sich genauestens an die Regeln der StVO. An einer Ampel, die auf Gelb springt, und bei der ich noch einmal aufs Gas treten würde, verlangsamen die schon, bevor es passiert. Der Taxameter läuft ja. Wann werden sie endlich begreifen, dass mein Trinkgeld mit jedem Verstoß gegen die StVO reziprok ins Unermessliche steigt.

Ich schaue auf die Uhr. 27 Minuten. Mein Magen knurrt. Seneca hat gesagt: „Es ist nicht wenig Zeit, die wir zur Verfügung haben, sondern es ist viel Zeit, die wir nicht nutzen.“ Der hat gut Reden. Seneca für Manager ist wohl doch nicht der Weisheit letzter Schluss. Mein Handy liegt zu Hause. Da liegt es gut.

Der Friseurmeister schließt zu. Mein Magen scheint über den Hunger hinweg. Grölend ziehen die Kids an mir vorüber. Es droht immer noch. Aus einem offenen Fenster hämmert die Tageschau. Gebührenpflichtige Massenverblödung. Einfach aber genial. Ich habe schon lange keinen Fernseher mehr. Radio brauche ich nicht. Auf der anderen Seite versucht eine Frau ihren dicken Schlitten in eine Parklücke zu quetschen. Der fünfte Zug sieht vielversprechend aus. Ein paar Tauben sammeln Reste vor der Dönerbude. Döner wäre jetzt gar nicht so schlecht. Da war der erste Tropfen. Verdammt, ich hab es gewusst. Ja, der zweite. Ich weiß, wie die Straßen im Sommerregen riechen. Das brauch ich jetzt nicht. Der dritte und dann – endlich. Da kommst du um die Ecke geschlendert.


© Ulrich P. Hinz

 

Foto von Igor Starkov

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