Das brennende Dorf (Kurzprosa)

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Das Dorf brannte. Staunend schaute ich auf dieses Inferno. Doch das Dorf verbrannte nicht. Es brannte einfach nur und das schon seit vielen Jahren, wie ich später erfuhr. Die Bewohner schienen sich damit arrangiert zu haben. Gleichgültig gingen sie ihren Arbeiten nach. Ich sah einen Schmied, der seelenruhig ein glühendes Stück Eisen mit dem Hammer klopfte, während neben ihm sein Haus in Flammen stand. Teilnahmslos blickte er kurz zu mir herüber und hämmerte dann weiter. Ich rief ihm etwas zu, doch er nickte nur mit dem Kopf. Mein Zug hielt mitten in dieser seltsamen Landschaft. Wir waren schon geraume Zeit langsam gefahren, sodass ich ganz in Ruhe am offenen Fenster die überall brennenden Häuser bestaunen konnte. Zunächst dachte ich, dass dies die Hölle sein musste. Doch alles schien so normal. Jetzt rief mir der Schmied etwas zu, aber ich konnte ihn nicht verstehen. Ich rief zurück. Er reagierte nicht. Der Schaffner tauchte auf und ich fragte ihn nach dieser Gegend. Er sagte nur, dass dies das brennende Dorf sei, und ging weiter. Der Zug hielt immer noch, und ich versuchte, durch das Fenster zu steigen. Eine alte Frau, die in meinem Abteil saß, sagte, ich solle das lieber lassen. Wer hier ausstiege, würde für lange Zeit bleiben. Ich wusste nicht genau, wie sie das meinte, hielt mich aber tatsächlich zurück. Zwei Kinder kamen vorbei und schauten belustigt zu mir hoch, obgleich, wie ich aus der Erinnerung sagen muss, ihre Gesichter keinerlei Minenspiel aufwiesen. Sie unterhielten sich. Als ich sie ansprach, gingen sie weiter, ohne zu antworten. Die alte Frau neben mir strickte. Ich fragte sie nach diesem Dorf, aber sie schüttelte nur den Kopf. Ich solle mich wieder setzen und darauf warten, dass es weitergehe, sagte sie, ohne den Blick von ihrem Strickzeug zu lösen. Dann setzte sich der Zug in Bewegung. Der Schmied tauchte gerade das glühende Stück Eisen in ein Wasserfass. Es dampfte kurz auf. Ich winkte ihm zu und glaube, dass er gelacht hat.

© Ulrich P. Hinz

Foto von Pixabay

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