Begegnung der 3. Art (Kurzprosa)

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Begegnung der 3. Art

Wenn er daran zurückdachte, begann sein Herz zu stottern. Die Panik, die sich wie kleine Nachbeben im ganzen Körper verteilte, blieb erträglich. Dauerte drei, vier Atemzüge. Vielleicht fünf. Allerdings waren das Atemzüge eines Ertrinkenden. Bis sich alles wieder beruhigt hatte, stand die Zeit still. Oder spielte keine Rolle. Es interessierte ihn nicht. Man sollte sich angewöhnen, in der Gegenwart zu leben. Dachte er manchmal. Oberflächliche Glückskeksirritationen.

Er hörte seine Schritte auf dem Asphalt. Dumpf aber regelmäßig. Die Hände in den Jackentaschen. Das Jahr hatte sich bis zum November durchgefressen. Der Tag lag im Endstadium. Tödlich verwundet. Ohne sich dafür zu schämen. Vielleicht sogar mit einem Lächeln. Einer Träne. Darüber lässt sich nur spekulieren. Wenn man nachdenkt, wird die Luft dünner. Er wusste das. Und setzte dennoch einen Fuß vor den anderen. In einer Straße, die kaum Laternen hatte. In einer Stadt, deren Namen er kannte. Alles andere wäre absurd.

Ein blaues Licht tauchte auf. Viele Schritte entfernt. Kam auf ihn zu. Sah aus wie ein UFO. Schwebte knapp einen Meter über dem Boden. Näherte sich langsam. Mögliche Irritationen in der Wahrnehmung können nie gänzlich ausgeschlossen werden. Bleibt nur oftmals eine Frage der Perspektive. Und dennoch ist ohne Veränderung gewisser Parameter einer Gesamtsituation der Zusammenstoß kaum zu vermeiden. Ihm war es egal. Die zunehmende Kälte machte mehr zu schaffen als erwartet.

Aber Erwartungen kommen und gehen. Selbst wenn sie in Summe einen großen Teil des Lebens ausmachen. Er hatte sich damit abgefunden. Rückte den Kragen zurecht. Ging weiter auf das UFO zu. Registrierte einen leichten Wind. Der in seinem Gesicht spielte. Die wenigen Fenster, aus denen noch Licht kam, erinnerten ihn an Sterne. Eine Erklärung dafür gab es nicht. Und obgleich die hervorgerufene Illusion von Wärme und Gemütlichkeit im Grunde nichts mit Sternen zu tun hat, konnte er nicht anders. Die Verrücktheit liegt möglicherweise im Detail. Letztendlich bleibt alles in der Gewohnheit vergraben. Selten bestimmt durch Angebot und Nachfrage. Vielmehr ein unkontrolliertes Reagieren auf Wahrscheinlichkeiten. Er stoppte kurz. Sah sich um. Wie selbstverständlich man einem Blick doch vertraut. Dachte er und ging weiter.

Eine Begegnung der 3. Art stand unmittelbar bevor. Die blauen Lichter waren bis auf vielleicht 30 Meter heran gekommen. Bei näherer Betrachtung tendiert das Fantastische oftmals dazu, in die Gewöhnlichkeit abzustürzen. Mit fließenden Grenzen hin zur Lächerlichkeit. Er blieb stehen. Holte tief Luft. Das UFO war ein Hund. Ein Boxer mit LED Halsband. Und einem Besitzer, der die Leine hielt. Bei fremden Hunden war er unsicher. Von Angst würde er nicht sprechen. Der Boxer schoss auf ihn zu. Ein Adrenalinstoß populärwissenschaftlich erklärt: Er sprang zur Seite. Verharrte dann regungslos. Während sein Herz gegen den Schädel hämmerte War froh, dass das Herrchen die Leine im Griff hatte. Bis die Worte „der tut nix“ von seinem Gehirn komplett verarbeitet waren, stand die Zeit still. Weiße Punkte funkelten vor seinen Augen. Hund und Herrchen schon viele Schritte entfernt. Die Fenster waren keine Sterne mehr. In einer Straße, die kaum Laternen hatte. In einer Stadt, deren Namen er kannte. Alles andere bleibt abzuwarten.

 

© Ulrich P. Hinz

 

Foto von Momo

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