Höhenangst (Kurzprosa)

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  • Beitrags-Kategorie:Kurzprosa
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08.04.18

Und dann stehst du auf dem Dach. Mit Höhenangst und ohne zu wissen, warum. Aber im Nachhinein betrachtet ergibt das möglicherweise einen Sinn. Spätestens dann, wenn du in Gedanken mit deinem Schädel auf den Asphalt aufschlägst. Immer und immer wieder. Ohne, dass du dir Sorgen machst. Warum auch? Die Luft ist mild. Den Sommer kann man schon riechen. Der Straßenlärm ist unkonzentriert. So kommt es dir vor. Die Flugzeuge sind lauter geworden. An das Kribbeln in der Schwanzspitze kann man sich gewöhnen. Für eine Erektion reicht es nicht. Ein einzelner Schritt wird vom Gehirn genauestens kalkuliert und verneint. Wenn man die Augen schließt und es für einen Moment ganz hell wird. Es braucht eine Weile, bis das Dunkel sich an dich gewöhnt. Nicht ohne Grund geht ein leichter Luftzug durch deine Haare. Die Sonne bäumt sich noch einmal auf. Ein Taubenpärchen turtelt widerstandslos. Klischees, die dein Mundwinkel ignoriert. In den Fenstern spielt Musik. Fernseher kotzen Werbung und das neuste vom Tage. Es steht nicht gut um die Welt. Aber das ist nicht deine Welt. Schon lange nicht mehr. Denn du stehst auf einem Dach. Anders herum gesehen, hängst du im Himmel. Doch geht deine Vorstellung so weit? Jeder Zirkusclown der die Manege betritt, weiß, worauf er sich einlässt. Nur hat man vergessen, dir das zu sagen. Dass die Welt auf dem Kopf steht. Oder hast du es vergessen? Möglicherweise verdrängt. Letztendlich bleibt alles eine Sache der Perspektive. Eben darin liegt die Gefahr.

Manchmal, wenn du merkst, dass dein Atem langsamer wird, steigt eine Erwartung in dir auf. Gerade deutlich genug, um es zu bemerken. Aber nicht groß genug, um sich daran zu erinnern.  Selbst, wenn man die Luft anhält. Angst ist auch nur ein Wort. Und die Kreise, die wie Rauchzeichen in deinem Gehirn aufsteigen, stauen sich unter der Schädeldecke. Nebeln dich ein. Ohne es zu merken, drehst du die Welt. Für den Moment.

Bei genauerer Betrachtung sind deine Augen auf. Und du siehst an dir herunter. Deine nackten Füße stehen im Wasser. Wellen brechen sich an den Knöcheln. Strandkörbe im Rücken. Das Meer zieht den Blick auf einen möglichen Horizont. Du lächelst. Mit Höhenangst und ohne zu wissen, warum.

© Ulrich P. Hinz

 

Foto: Alexas_Fotos

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