Frühstück mit Thomas Bernhard (Kurzprosa)

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Das Café war gut gefüllt. Rustikale Einrichtung. Ein paar Studenten treiben sich hier rum. Schwänzen Vorlesungen. Der Morgen schlich dahin. Wieder ein Tag. Er. Saß am Tisch und rührte in einer Tasse Cappuccino. Je länger der Zucker auf dem Schaum liegen bleibt umso besser der Cappuccino. Dieser war schlecht. Hinter der Tasse ein Buch. Der Zigarettenqualm hing wie Bodennebel an der Decke. Am Nachbartisch zwei Frauen. „Haste schon … “ „Is nicht wahr …“ Schnatter, schnatter. Das kleine Hühnereinmaleins. Sprechen als Sauerstoffverschwendung. Köstlich anzuhören. Überall Handys auf den Tischen. Die Kellnerin trägt zweimal Frühstück auf dem Tablett. Er nippte an dem Cappuccino, zündete eine Zigarette an. Sein Zeigefinger fuhr über den Buchdeckel. Lesen als letzte Medizin. Gegen die Bilder der Nacht. Der Duft von Eiern und Speck fuhr in seine Nase. English Breakfast für 4,20 €. Die Kellnerin trägt neben dem Tablett eine enorme Oberweite. Scheint fast wie eine Behinderung. Körperlich. Ihr Gesicht ist alt. Sie selbst nicht. „Atem“ stand auf dem Buchdeckel. Thomas Bernhard. Kein dickes Buch. Trotzdem las Er schon lange daran. Darin. Immer in Cafés. Er drückte die Zigarette aus. Nebenan kam eine SMS. Zu Tode erreichbar.

Drei Tische weiter ein Pärchen. Sehen sich verliebt an. Streicheln zärtlich ihre Wangen. Küssen. Vor jedem liegt ein Handy. Was für eine Welt. Mehr Kurzfilm. Szene für Szene. Einschlag über Einschlag. Konglomerat von Zeit. Haufenparadoxie. Beleuchter und Kabelschlampe. Scheinwerfer und Wichtigmänner. Der Regisseur über den Dingen.

Frühstück die 28ste! Kamera läuft: Die Kellnerin stemmt ihre Überbrüste zurück hinter die Theke. Die Cappuccinomaschine faucht. Ein gutaussehender Kellner schäumt Milch auf. Macht ein gelangweiltes Gesicht dabei. Cut.

Er war auf Seite 62, als ein junger Kerl an seinen Stuhl rempelte. „T’schuldigung.“ Peinliches Grinsen. Zu viele Menschen auf zu wenig Raum. Lesen, um Angst zu verbergen. Konzentration auf die Wörter. Doch es sind bloß Buchstaben. Und es wird schlimmer. Ein Hund wuselt plötzlich um die Tische. „Rocky, hierher!“ Rocky verstand und ignorierte.

Die Kellnerin brachte ein Brötchen. „Noch einen Cappuccino?“ Er schüttelte den Kopf. Lächelte kurz. „Danke.“ Quietschend kam dieses Danke. Wie von einer Stimme, die lange nicht benutzt worden war. Die Kellnerin nickte. Er legte den Bernhard zu Seite. Ein Belegtes mit Salami. Ein schrumpeliges Salatblatt am Tellerrand. Das Brötchen frisch. Er biss hinein. Legte es auf den Teller zurück. Kaute. Nahm einen Schluck lauwarmen Cappuccino dazu. Den Rest. Schluckte. Bemerkte Rocky, der das Brötchen fixierte. Mit schräg gelegtem Kopf. Sei ein braver Hund. Geh. Rocky blieb.

Regieanweisung: Protagonist verspeist unter der fachkundigen Beobachtung eines Hundes ein Belegtes mit Salami.

Mittag stand kurz bevor. Im Bernhard zurück auf Seite 17. Blättern. Ein Gurkenglas voll Eiter. Das Liebespärchen war noch da. Beide telefonierten. Vielleicht sogar mit einander. Moderne Liebe. Er hatte wider Willen noch einen Cappuccino bestellt. Einerseits um seinen Platz zu rechtfertigen. Andererseits aus reiner Kaffeesucht.

Rocky war weitergezogen. Die zwei Schnattergänse hatten gerade bezahlt. Sie schienen zufrieden mit sich und der Welt. Ihre Gesichter bunt zugekleistert wie frisch gestrichene Altbauwohnungen. Die sieht man sonst in ganz anderen Lokalen. Dort, wo es hauptsächlich teuer ist. Und die Bedienung Charles oder Monique heißt. Ein verträumt dreinschauender Klavierspieler ist obligatorisch. Die Dame von Welt braucht das so.

Gebrauchsanweisung für “Dame von Welt“. Herzlichen Glückwunsch, dass sie sich für eine Dame von Welt entschieden haben. Bitte lesen sie alle Warnungen und Sicherheitshinweise dieser Anleitung sorgfältig durch, dann wird unser Produkt ihnen viel Freude bereiten. „Verwenden Sie das Gerät nur nach den hier gegebenen Anleitungen und für die angegebnen Zwecke. Andernfalls kann es zu Schäden am Gerät, ernsten Verletzungen oder sogar zum Tod von Personen kommen“ Allgemeine Hinweise: …

Sie stiegen in ihre Mäntel, blickten einmal gönnerhaft in die Runde und gingen.

Er versuchte sich auf den Bernhard zu konzentrieren. Das Liebespärchen zahlte gerade. Ein alter Herr mit brauner Aktentasche unter dem Arm war hereingekommen. Er ließ sich am Tisch der Schnattergänse nieder und kramte eine Zeitung aus der Tasche. Seine Augen versteckt hinter dicken Brillengläsern. Wie Fische im Aquarium. Warten auf den Tod. Der Protagonist Bernhards hat das Sterbezimmer verlassen. Autobiographischer Roman. Krankenhauselend aus einer anderen Zeit. Die Kellnerin kam an den Tisch. „Wir machen Schichtwechsel. Kann ich kassieren?“ Er blickte in ihr Gesicht. Sie hatte rote, volle Wangen. Aber kein Lächeln. Auf ihrer Nase klebten einige Sommersprossen. Er bezahlte. Für den schlechten Cappuccino war das Trinkgeld zu groß. Was kann sie schon dafür? An der Theke wird bereits Bier getrunken. Es ist gleich Eins. Eine sonnige Welt wartet da draußen. Er zündete sich noch eine Zigarette an. Lesen, um das Außen zu vergessen. Der alte Herr war ganz in seine Zeitung versunken. Die neue Schicht kam an den Tisch. Ein junger Kerl mit schwarzen Locken. „Darf ich noch etwas bringen?“ Er verneinte. Der Kerl wirkte unsympathisch. Er schlich weiter und riss den Alten aus seiner Lektüre. Der bestellt einen Tee. Er zog an seiner Zigarette. Den Bernhard hatte er zugeklappt. Das kann Jahre dauern.


© Ulrich P. Hinz


Foto von Julian Jagtenberg

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