Das Rufen der Müllmänner (Kurzprosa)

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Sie hatte das Licht angeknipst. Um drei Uhr morgens. Der Kühlschrank war angesprungen und summte. Ein Gesang wie bei den Walen. Er lag neben ihr. Eine Tür des Kleiderschrankes stand offen. Wäsche auf dem Boden zerstreut. Die Wände waren frisch gestrichen. Im letzten Jahr. Ein Druck von Dali ließ den Torero im Kampf unterliegen. Seltsames Sterben in Kohle gebannt. Ein Bild zum Verlieben. Im Spiegel stand ihre Angst. Auf der anderen Seite. Vater Unser – die vierte Stunde lass aus.

Ein leiser Schnarchton zog ihren Blick auf sein Gesicht. Das Licht störte ihn nicht. Vielleicht hatte er sich auch einfach nur daran gewöhnt. Sie zerrte das durchgeschwitzte Oberbett von ihrem Körper und rutschte auf die Bettkante. Als ihre nackten Füße den Teppich berührten, zuckte sie kurz zusammen. Zwei Stunden Schlaf sind nicht viel. Es soll Menschen geben, die brauchen nicht mehr. Sie erhob sich und tapste zum Fenster. Zeige- und Mittelfinger steckte sie zwischen zwei Lamellen der Jalousie und schob sie auseinander. Der Himmel war noch schwarz. Ohne Sterne. In der Häuserreihe gegenüber war fast alles noch dunkel. Nur im vierten Stock brannte ein Licht. Aber das brannte immer in die Nacht. Ein junger Mann wohnte dort. Manchmal sah sie ihn durch das Zimmer gehen.

Ein schöner Mann. Zwei Fenster gehörten auf dieser Seite zu seiner Wohnung. Aber nur in dem rechten brannte immer das Licht. Sie wusste nicht, was das für Räume waren. Er hielt sich nicht oft darin auf. Der Kühlschrank verstummte ratternd. Unten auf der Straße rauschte ein Taxi vorbei. Sie zog die Finger aus den Lamellen und rieb sich die Augen. Der Sommer war ihr dieses Jahr abhanden gekommen. In der Wohnung darüber begann ein Baby zu schreien. Man hörte es nicht gut. Aber man hörte es doch. Auch das schnelle Gehen von nackten Füßen hörte man. Und dann – nur noch das Ticken der Uhr.

Er drehte sich auf den Rücken. Ihnen war die Liebe abhanden gekommen. In diesem Sommer. Sie schlurfte zur Küche. Auf dem Tisch stand ungespültes Geschirr. Die Lampe ein Designerstück. Sie drückte den Knopf der Kaffeemaschine, griff nach der Dose mit Pads und wartete bis das Brodeln aufhörte. Kalter Rauch hing in den Wänden. Sie lud die Maschine, drückte einen anderen Knopf und Kaffee begann zu fließen. Der Duft mischte sich mit dem Rest. War aber nicht kräftig genug, um die letzten Jahre aus den Ecken zu kratzen.

Sie liebte Kaffee. Das ganze Zeremoniell. Vom Machen bis zum Geräusch des Einschenkens. Im Dampf einer frischen Tasse Kaffee sind Welten verborgen. Täglich hätte sie in irgendwelchen Kaffeehäusern sitzen können. Aber er war mehr der Kneipentyp.

Ganz leise begann ein erster Vogel zu rufen. Das Dunkel der Nacht wurde brüchig. Sie nahm die Tasse und ging zum Fenster. Es stand auf Kipp. Der Tag war kaum noch zu verleugnen. Unten wurde ein Motor gestartet. Sie zuckte zusammen, als der junge Mann von gegenüber das Zimmer betrat. Dort, wo immer das Licht brennt in der Nacht. Er stellte eine Pflanze auf die Fensterbank. Könnte ein Ficus sein. Nicht sehr groß. Und plötzlich winkte sie rüber. Erst schüchtern. Dann mehr. Ein paar Tropfen Kaffee schwappten über die Finger. Erschrocken ließ sie die Tasse fallen. Eine Pfütze frischen Kaffees auf dem Boden. Die Tasse blieb ganz. Sie riss ein paar Tücher von der Küchenrolle und wischte zusammen. Der matschige Rest einer Welt.

Als sie zurück an das Fenster kam, war er nicht mehr da. Das Licht war gelöscht. Im werdenden Tag stand der kleine Ficus allein. Nicht sehr groß. Andere Lichter gingen an. Ein Müllwagen dröhnte durch die Straße. Im Zischen und Quietschen der Bremsen unverkennbar. Das Rufen der Müllmänner. Ähnlich dem der Dohlen. Sie hob die Tasse auf, spülte kurz durch und lud noch mal nach. Dann setzte sie sich, schob das Geschirr in die Mitte und zündete eine Zigarette an. Den Rauch blies sie in die Tasse Kaffee. Es roch wie immer. Der Kühlschrank sprang an und von irgendwo piepste ein Wecker.

© Ulrich P. Hinz

 

Foto von Pavel Danilyuk

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