Einmal mit Soße (Kurzprosa)

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An Wunder glaubte sie nicht. Liebe auf den ersten Blick hielt sie für möglich. Im fortgeschrittenen Stadium der Desillusionierung half das wenig. Der Dom war leer. An einer Säule neben ihr stand Christopherus. Überlebensgroß, mit Stab in der Hand und Kind auf der Schulter. Die Sonne würde gleich aufgehen. Sie kramte in ihrer Handtasche. Nahm eine Zigarette aus der Schachtel, steckte sie an. Lehnte sich zurück und sah nach vorn. Der Altar schien Kilometer entfernt. Sie blies den Rauch in die Richtung. Der Raum löste ihn auf. Ein Glockenschlag. Die berühmte Uhr vielleicht. Hier und da eine Kerze. Schritte irgendwo. Kaum hörbar. Eine zufallende Tür. Um diese Zeit. Draußen wurde der Markt aufgebaut. Sie trat die Zigarette auf dem Boden aus. Schaute an Christopherus hoch. Gähnte ihn an. Mit glasigem Blick. Der Stab sah aus wie ein Baum. In ihrem Kopf ein leichtes Drehen. Die Nacht in den Knochen. Champagner im Blut.

Der Holländer hatte gesagt: „Backfisch dauert noch eine gute halbe Stunde.“ Christopherus war barfuß. Müde bin ich … Geh zu Ruh …

Wieder ein Glockenschlag. Sie stand auf und ging in die Richtung. Ihre Absätze hallten. Das Drehen nahm zu. Leichtes Schwanken im Schritt. Am Altar vorbei. Bis an die Uhr. Ein gigantisches Monstrum. Zeiger länger als ihre Arme. Bunte Bilder. Sonne, Mond und Sterne. Die Zeit erkannte sie nicht. Zu viele Zeiger. Aber das schwere, metallische Ticken zählte sie. Tock – Tock –Tock. Bei 54 verschluckte es sich. Eins, zwei, Quatsch. Sicher verzählt. War auch egal. Weiter. Den Gang entlang. Einmal rum um den Altar. Kam an eine Kerzenstation. Einige brannten noch. Zwölf Stück. Frische lagen bereit. Wie in einer Munitionskiste. Dose mit Münzeinwurf. 30 Cent stand drauf. Das Licht tat ihr weh. In den Augen.

Die andere Seite des Altars. Aus einer kleinen Seitenkapelle leuchtete etwas. Zog sie an. Nur für Beter. Stand am Eingang. Ein silbern glänzender Tabernakel Mit Jesus am Kreuz darüber. Von vier Kerzenständern flankiert. Alles aus Silber. Sie lief darauf zu. Staunte. Silber mochte sie lieber als Gold. Der Tisch darunter trug weiße Spitze. Sie schaute sich um. Zwei Reihen mit Holzbänken. Vier links. Drei rechts. Pro Reihe vielleicht Platz für sechs Personen. Acht wenn man quetscht. Sie setze sich in die hinterste Reihe links. Ganz in die Ecke. Die erste Sonne kam durch die Fenster. Ihre Augen wurden schwer. Fielen kurz zu. Nicht einschlafen. Bitte jetzt nicht einschlafen. Ein Husten holte sie zurück. Sie blickte neben sich. Ein alter Mann war herein gekommen. Er setzte sich auf die andere Seite. Für einen Nachtschwärmer war der zu alt. Dachte sie. Dann kam eine Frau rein. Im weißen Trenchcoat. Auch zu alt. Aber mit wilden Haaren. Die setze sich in die Reihe hinter den Alten. Was machen die hier? Mit so vielen Betern hätte sie nicht gerechnet. Und noch eine Dame. Ganz in schwarz. Vielleicht waren das Geister. Und während sie grübelte kamen immer Neue. Und alle waren sie alt. In ihre Reihe ganz außen setze sich eine Oma mit Kopftuch. Die schaute kurz zu ihr hin. Verzog keine Miene. Was für eine Gesellschaft. 19 Leute zählte sie. Und keiner sprach ein Wort. Überall räusperte und hustete es. Wird Zeit, zu gehen. Dachte sie. Die Glocke der Uhr schlug. Und ein Priester trat ein. In grünem Gewand. Mit einem Tablett in den Händen. Zwei Kelche standen drauf. Servierte darüber. Er stellte es auf den Tisch. Drehte sich um. Er war uralt. Sie sah in dieses Gesicht. Müssen die wirklich bis zum Schluss? Er faltete seine Hände. Alle waren aufgestanden. Im Namen des Vaters, und des Sohnes, … Ihr wurde übel. Sie blieb sitzen. Die Stimme des Priesters war brüchig und leise. Seine Worte gingen durch sie durch. Ein ständiges Aufstehen und Setzen. Gequältes Gesinge. Sie schloss die Augen. Ließ das ganze Ritual über sich ergehen. Und obwohl ihr Magen knurrte, sparte sie sich die Kommunion ein.

Es war hell geworden. Die Zeremonie ging zu Ende. „… Gehet hin in Frieden …“ Gott sei Dank. Dachte sie. In wenigen Minuten war die Kapelle leer. Und sie wieder allein. Ungläubig schüttelte sie den Kopf und stand auf. Lief durch den Dom. Am Christopherus vorbei. Richtung Ausgang. Mitten in das Marktgetümmel. Die Luft tat gut. „Hier die besten Kartoffeln! Zum Supersonderpreis …“ Sie schlenderte zum Holländer rüber. An den Tischen standen schon ein paar Leute und aßen Fisch. Wie viele Frühaufsteher es doch gibt. Sie stellte sich an die Schlange. Es ging schnell. Sie liebte den holländischen Akzent. Diese Musik in der Stimme. „Junge Frau?“ „Einmal Backfisch bitte.“ „Mit Soße?“ Sie nickte. „Einmal mit Soße. Kommt sofort.“


© Ulrich P. Hinz

 

Foto von Pixabay von Pexels

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