Gedankenschleuder (30.06.2022)

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30.06.2022

Wer mit den Mächtigen spielt, lebt gefährlich. Insbesondere dann, wenn er gegen sie spielt. Einen Menschen zu vernichten ist ganz leicht. Einfach geradezu. Wir fangen mit einer kleinen Hausdurchsuchung an. Einen Richter, der das anordnet, ist in den heutigen Zeiten schnell gefunden. Das war allerdings immer schon so. Wenn der erste Schock, das erste große Zittern dann vorbei ist, lassen wir ihn als den Bösen auferstehen. Der gefährliche böse Bube. Oder Bubin, um die große Lächerlichkeit auch sprachlich absurd genug wieder zu geben. Dann lesen wir in den Zeitungen und im TV schlimme Dinge über ihn. Es braucht heutzutage nicht mehr viel, um die Masse gegen ihn einzunehmen. Das war allerdings auch immer schon so. Nur heute macht man einfach mehr Gebrauch davon. Und wenn sein Ruf dann erst einmal gründlich zerstört ist, und die Masse ihn für das Böse an sich hält, findet man einen guten und lohnenden Grund, um ihn schließlich hinter Gitter zu bringen. Das ist zwar auch nicht neu, aber es läppert sich. In den heutigen Tagen ist es im Grunde viel einfacher geworden. Aber das wissen wir ja längst. Und wenn er dann erst einmal im Gefängnis sitzt, werden wir ihn ganz allmählich kleinkriegen. Und gestorben sind da schon ganz andere. Plötzlich und unerwartet. Das geht schneller, als man gucken kann. Wird kurz und präzise vorbereitet und dann geht es auch schon los. Es ist eine herrliche Zeit. Und dass in den Gefängnissen zu wenig Platz sei, ist ein Märchen. Wir haben eine Zelle für jeden. Nur vergisst man das allzu schnell. Keiner kann sich vorstellen, dass er selbst der Nächste sein könnte. Weil er oder sie doch zu den Guten gehören. Zumindest zu den Braven. Die sich dass alles nicht vorstellen können. Das hat immer funktioniert. Und ist der Feind erst einmal ausgemacht, haben wir eine Welt, in der wir gut und gerne leben. Natürlich ist die Definition von Leben für jeden eine andere. Aber im Großen und Ganzen ändert sich da nicht viel. Und wir singen die Lieder, die wir schon immer gesungen haben. Das war früher noch etwas besser strukturiert. Aber es ist im Allgemeinen nicht gerade etwas, für das man lange Zeit braucht. Und wenn die Gefängnisse dann tatsächlich gut gefüllt sind, wird man wieder in Ruhe schlafen können. In einer Art Halbschlaf. Denn ein Auge muss immer offenbleiben. Denn an jeder Tür kann es plötzlich und unerwartet klopfen. Klingeln. Sie wird im Zweifel einfach eingeschlagen. Und dann geht es los. Die Überraschung ist groß und hinterlässt tiefe seelische Wunden. Daher ist es immer besser, niemals mit den Großen zu spielen. Und es reicht, wenn an den Stammtischen darüber lamentiert wird. Das haben sie immer schon gemacht. Nur könnte es in Zeiten wie diesen, vielleicht doch etwas gefährlicher werden. Ein Absolutismus kommt nicht über Nacht. Er wird lange und gründlich vorbereitet. Liegt schon lange vollständig ausgearbeitet in warmen, weichen Schubladen. Und auf die muss man dann, wenn die Zeit reif ist, und wann war sie das nicht, nur noch zurückgreifen. Es sind tatsächlich herrliche Zeiten. Und bei den geringsten Abweichungen tritt dann Plan B in Erscheinung. Alles das hatten wir schon einmal. Nur kann sich kaum noch jemand daran erinnern. Auch fehlt dafür die Vorstellungskraft. Und erst hinterher wird man erkennen, dass etwas grundlegend in eine Richtung gelaufen ist, vor der man sich eigentlich gefeilt fühlte. Es wird wunderbar. Nur für einige wenige wird es eng. Bestrafe einen, erziehe viele. Das ist schon fast so einfach, dass es weh tut. Und das wissen wir. Natürlich wissen wir das. Und wer uns tatsächlich an den Karren pissen will, lebt nun einmal gefährlich. Viertel Stunde vorbei. Gott sei Dank!

 

© Ulrich P. Hinz

Foto von Ekaterina Belinskaya

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