LSD-Licht (Kurzprosa)

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15.05.2018

Mindestens 100 % der Menschen sind sterblich. Die Dunkelziffer liegt vermutlich noch wesentlich höher. Ironie ist das, was man daraus macht. Er stand vor dem Spiegel und war erstaunt. Im LED-Licht härtet die Realität nach. Blicke schlagen auf die Oberfläche. Reflektieren im Auge des Betrachters. Und die Angst, nicht mehr zurück zu kehren, hängt im Raum. Vielleicht sollte es LSD-Licht heißen. Aber die Frage, wer wem in die Augen sieht, stellt sich nicht. Die Realität hat sich als Konstrukt durchgesetzt.
Er fletschte die Zähne. Begann zu knurren. Akustischen Gegebenheiten eines durchschnittlichen Badezimmers hallen nach. Eine virtuose Lächerlichkeit breitete sich in jeder Zelle seines Körpers aus. Dass es bei solchen Wahnsinnigkeiten Nebenwirkungen gibt, ist wahrscheinlich. Und sei es bloß das Bild eines Wolfes, das mit Lichtgeschwindigkeit in das Gehirn schießt. Aber solange der Wolf sich nicht in das Spiegelbild verirrt, besteht noch Hoffnung. Er lachte. Ohne es zu wollen. Seine Hände lagen auf dem Rand des Waschbeckens. Dieses Lachen war neu. Auch wenn es verbraucht klang. Fremd und falsch. Dann hörte es auf. Nervöse Blicke tasteten dieses Gesicht ab. Tanzten orientierungslos von Punkt zu Punkt. Um dann auf dem Mund liegen zu bleiben. Und wie im Landeanflug schob er den Kopf vorwärts. Gesicht an Gesicht. Der Atembeschlag war fast unsichtbar. Angewidert streckte er die Zunge raus. Tippte sie auf die Spiegelzunge. Zog kurz zurück. Und drückte dann Zunge auf Zunge. Begann zu lecken. Leckte sein Gesicht auf den Spiegel. Alle guten Dinge sind drei. Wild und unnachgiebig. Leckte und leckte. Sah sich an. Hielt inne. Schloss die Augen. Ließ die Stirn auf den Spiegel sinken. Ist ein Spiegel noch ein Spiegel, wenn die Augen geschlossen sind? Er kannte die Antwort. Drückte sie weg. Dachte für einen Moment nichts. Fühlte nichts. Wollte nichts. Wo sitzt die Scham eines Menschen? Wo das Entsetzten? Langsam hob er den Kopf wieder auf. Schüttelte ihn sinnlos. Öffnete die Augen und übergab sich ins Waschbecken. Wie gesagt, Nebenwirkungen sind wahrscheinlich.

© Ulrich P. Hinz

 

Foto von Stephan Müller

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