Zwischen Rausch und Sprache (Kurzprosa)

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Schlafen wollen. Diese einsame Verbindung zwischen Mythos und Kultur. Bis tief in die kleinsten Lächerlichkeiten, die eine Messerspitze Wind dem denkenden Individuum ohne Luftröhrenschnitt rauszukitzeln in der Lage ist, einzudringen. Am Ende einer langen Sichtperiode. Gezeichnet durch ein seltsam grenzenloses Vertrauen in die eigene Vergänglichkeit ohne Angabe von Gründen durch das Hineingleiten in die große Verwunderung über die Absurdität einer nicht enden wollenden und immer wiederkehrenden Atemstillstandsneutralität. Sollbruchstelle der Zeit. Zwischen Rausch und Sprache schießen die neuronalen Schockzustände einzelner Gehirnzellen widerstandslos in kreiselförmigen Untergangsprojektionen aus der Daseinserklärung, um mit der Erektion am offenen Herzen die unbefleckte Empfängnis zu beschleunigen.

Ich liege wach. Liege hier und denke an dich. Deine Stimme im Ohr. Dein Lachen wie ein Vibrationsalarm in meinem Gehirn. Bei der Erinnerung an den Duft deiner Brüste. Das Zucken in der Schwanzspitze. Die Liebe mit Göttern duldet keine normativen Frivolitäten. Ob wir glücklich waren, will ich wissen. Aber du bist weit darüber hinaus, dir solche Fragen auch nur ansatzweise noch zu stellen. Ein Vogel braucht seine Freiheit. Die Eigenwilligkeit der Katzen kennt keine Namen. All deine Erklärungsversuche billige Klischees. Und ich muss daran glauben.

Dämmerzustand. In der Ernüchterungsphase, die wirkungslos verschleichende Schlaftabletten hinterlassen, zeigt das Dunkel ein anderes Gesicht. Unzählige Lichtmoleküle, die möglicherweise aus der Erinnerung stammen, zertanzen die Nacht. Sind selbst bei geschlossenen Augen nicht wegzudenken. Versagen die Orientierung und legen mich fremd. Bei dem Versuch, danach zu greifen, sehe ich lediglich das Eintauchen meiner Hand. Mit dem Gefühl, unter Wasser zu sein. Dem Empfinden, ein anderer zu sein. Und plötzlich, in einem kaum spürbaren Moment erkenne ich bei dem Blick auf diese Hand das verdrängte Nichts. Die Quintessenz. Für den Bruchteil eines Lidschlages. In Ermangelung besseren Wissens. Aber aus guten Gründen. Und mit der Überzeugung, die ein Don Quijote in sich trägt. „All hail, Macbeth, hail to thee, thane of Cawdor!“ Deinem Shakespeare zum Trotz singe ich ein Heureka in die sterbende Nacht. When shall we two meet again …? Nevermore. Nevermore. Nevermore. Der Rabe hat gesprochen. Und die Angst vor dem Verrücktwerden weicht dem Verrücktwerden aus einer bewussten Entscheidung.

Ich hab dich verlassen. Heut Nacht. Und vielleicht hast du das kommen gesehen. Als du mir sagtest, du hörst nur noch die Stille zwischen den Herzschlägen, wenn dein Ohr auf meiner Brust liegt. Der Wecker wird gleich klingeln. Ich werde Kaffee machen. Werde am Tisch sitzen und hoffen, dass der Kaffee das Glasige aus meinem Blick vertreibt. Zum Metzger werde ich gehen und belegte Brötchen kaufen. Die esse ich dann auf dem Weg zur Arbeit. Und höre Musik dabei. Danach rauche ich eine Zigarette. Und bei der Arbeit werde ich mir nichts anmerken lassen. Das Ganze steht ja erst am Beginn. Mein Lachen wird falsch sein. Aber ich werde der einzige sein, der das weiß. Regen ist heute nicht angesagt. Die Kriege sind gut verteilt. In Deutschland lernt man wieder, was es heißt, hungrig zu sein. Aber Deutschland ist mir zu klein.

Schlafen können. Die glasige Nachgeburt eines gescheiterten Lächelns. Bevor die reine Verbindung aus Chemie und Physik die belanglosen Grenzen der eigenen Ichbezogenheit in die schwitzenden Untiefen eines architektonisch meisterhaft durchgeplanten nackten Fleischkomplexes entlässt. Schlafen können. Im ständigen Drehen und Wenden wie die Wurst auf dem Grill, um den löchrig gewordenen Mantel der Vergangenheit, die erschütternden Reste eines gebrauchten Ichs für den anstehenden Tag zu flicken. Schlafen. Der Einbruch in ein gut gesichertes Regelwerk, dessen einziger Sinn in der bloßen Auflösung seiner selbst unter der Berücksichtigung einer zweckentfremdeten Normalitätsillusion verborgen liegt. Schlafen. Die Anschauungsformen von Raum und Zeit, wie sie bei Kant bis an die Schwelle des Ertragbaren in einem ejakulativen Ausscheidungsprozess zum Erbrechen reizen, durch die Hintertüre zu verlassen, um dann das Theater des großen Ionesco durch den Haupteingang zu betreten.

Schla… Im Herauswürgen der versteinerten Sprachdenkmäler, die uns in ihrer Sinnlosigkeit eigentlich von den Affen unterscheiden sollten, bleiben wir im dilettantischen Stadium vorzeitlicher Jäger und Sammler stecken, ohne zu erkennen, dass die Zerstörung der Welt darin ihren Ursprung trägt. Schla… Bis zum bersten bewaffnet mit egomanischer Selbstverstümmlung werden wir doch genötigt, unser provisorisches Konstrukt einer auf Sandburgen basierenden Schulweisheit am Empfang abzugeben. Sch… Ich. – Du. – Wir. – Es. – Sch… ich … i … sch.


© Ulrich P. Hinz

 

Foto von Lukas Hartmann

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