Wir saßen in der kleinen Bude unseres Freundes Kobal. Zu dritt saßen wir hier und qualmten wie verrückt. Kobal hatte einen Kasten Bier und diverse Flaschen Wein eingekauft, sodaß wir schon ziemlich guter Stimmung waren. Die Nacht schien sternenklar, und der Mond kurz vor voll. Die Nebelschwaden unserer Zigaretten standen schier undurchdringlich im Raum. Das Fenster auf Kipp kam mit der Frischluftzufuhr nicht im geringsten nach. Wir lachten darüber. Zeisig hatte gerade eine neue Flasche Roten entkorkt und goß sich ein Glas ein. Der kleine Tisch, an dem wir saßen, stand kurz vor dem Zusammenbruch, so voll war er. Kobal stand auf und schaute in die Runde.
„Freunde“, sagte er, „mit unserem Land geht es den Bach runter. Laßt uns eine Seance machen, um Klarheit zu bekommen.“ Wir schauten ihn an. Doch er nickte bloß und verschwand.
„Was hat er denn nun schon wieder vor?“ fragte Zeisig.
„Ist doch egal. Solange es genug zu Trinken gibt, ist mir alles egal.“ Zeisig verzog das Gesicht.
„Du kennst ihn noch nicht so lange wie ich.“ Wir hörten die Klospülung. Kobal kam grinsend zurück.
„Los Kinder, wir räumen den Tisch ab“. sagte er und begann tatsächlich damit. Ich half, Zeisig blieb sitzen. Kurze Zeit später war der Tisch wieder frei. Lediglich unsere Getränke und der riesige Aschenbecher blieben stehen.
„Und was nun?“ fragte ich gespannt.
„Also, wir werden die alten Hasen beschwören. Anfangen werden wir mit Adenauer. Später wagen wir uns dann an Hitler und gehen dann zurück bis in die Kaiserzeit. Karl der Große muß genauso ran, wie, ach, wir warten einfach mal ab, wer sich so einstellt.“ Zeisig leerte sein Glas.
„Das ist doch Bullshit!“ meckerte er. „Adenauer, Hitler, das ist doch totaler Bullshit!“
„Na, ein Versuch ist es doch alle male wert.“ sagte Kobal. Die mögliche Erfahrung, auf Hitler zu treffen, machte mir Sorgen.
„Ich finde auch, Zeisig hat recht. Das ist Quatsch.“
„Nun gut, dann eben nicht.“ Kobal war beleidigt. Zeisig füllte erneut sein Glas und ich leerte meine Bierflasche. Plötzlich schellte es.
Da Kobals Klingel recht unangenehm und grausam aufschreit, zuckten wir heftig zusammen.
„Erwartest du noch wen?“ fragte Zeisig.
„Natürlich nicht.“ Kobal stand auf und schlich aus dem Zimmer. Wir schauten uns lauschend an. Kobal kam zurück geschlichen und machte ein verstörtes Gesicht.
„Na?“ flüsterte Zeisig.
„Ihr werdet es nicht glauben. Der Bundeskanzler steht vor der Tür.“
Ich für meinen Teil glaubte es wirklich nicht.
„Na und, dann laß ihn rein.“ sagte Zeisig.
„Nein wirklich! Ich hab ihn durch den Spion gesehen. Er ist es. Der Schröder. Gerhard Schröder steht vor meiner Tür.“ Es klingelte wieder. Kobal schluckte.
„Komm schon, Kobal, erzähl keine Märchen.“ sagte Zeisig, „Was sollte der schon hier wollen?“
„Woher soll ich das wissen?“ zischte Kobal. „Was machen wir denn jetzt?“
„Man, du warst es doch eben, der hier großspurig rumgetönt hat, daß es mit unserem Land bergab gehe. Sag ihm das.“
Kobal begann an seinen Fingernägeln zu kauen. Es klingelte erneut.
„Das ist doch alles nur ein Witz von dir“, sagte ich, „ich werde jetzt zur Tür gehen und wen auch immer hereinlassen.“
„Nein, das wirst du nicht.“ giftete Kobal mich an.
„Na, dann will ich ihn wenigstens sehen.“ Ich stand auf und ging in Richtung Wohnungstür.
„Sei bloß leise.“ hörte ich Kobal zischen. Als ich durch den kleinen Flur auf die Tür zuschlich, sah ich durch den Spion das Licht des Hausflurs. Vorsichtig setzte ich mein Auge an den Spion. Doch ich sah nur den nackten Flur. Kein Kanzler. Ich legte mein Ohr an die Tür, hörte aber nicht das geringste. Das Licht ging aus. Vorsichtig öffnete ich die Tür und knipste es wieder an. Alles war ruhig. Als ich wieder in das Zimmer trat, stand Kobal noch immer.
„Und?“ flüsterte er.
„Keiner da. Wer auch immer es gewesen ist.“
„Er war es, das müßt ihr mir glauben.“ Zeisig grinste.
„Na, Kobal, alter Junge, wie wäre es jetzt mit der Seance? Wo wir doch nun schon so hohen Besuch hatten, sollten die Geister eigentlich ziemlich heiß auf uns sein.“ Ich lachte. Wir setzten uns wieder. Kobal war sichtlich durcheinander. Zeisig leerte sein Glas. Wir saßen einige Minuten schweigend so dar, als es nochmals klingelte.
„Verdammte Scheiße!“ flüsterte Kobal.
„Ich werde nachschauen.“ sagte Zeisig.
„Untersteh dich.“ fauchte Kobal, doch Zeisig erhob sich. Wir hörten, wie die Tür geöffnet wurde. Einige Gesprächsfetzen drangen in den Raum, jedoch verstanden wir so gut wie kein Wort. Kurze Zeit später kehrte Zeisig grinsend zurück.
„Na, wer war’s?“ fragte Kobal ängstlich.
„Ihr werdet es mir sowieso nicht glauben. Es war Helmut Kohl.“
„Und, was wollte er?“ lachte ich.
„Na, was soll er schon gewollt haben, eine Spende natürlich.“
„Und, was hast du ihm gesagt?“
„Das was ich jedem Klinkenputzer sage. Wir geben nichts. Dann habe ich ihm noch gesagt, daß er seinen Nachfolger nur knapp verpaßt habe. Er was sichtlich geknickt. Hat mich mit den Augen eines am Eßtisch bettelnden Hundes angeschaut. So habe ich ihn dann auch stehen lassen.“
„Ja, Kobal, du hast schon recht, mit unserem Land geht es tatsächlich den Bach runter. Vielleicht sollten wir das Fenster mal weit aufmachen.“ Ich grinste und öffnete ein neues Bier. Wie gesagt, solange es genug zu trinken gibt, ist mir alles egal.
© Ulrich P. Hinz
Foto von Edward Eyer