Der Duft der Blumen (Kurzprosa)

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Er stand auf dem Friedhof. An einem trüben Spätsommertag. Friederich Gerner: *23.04.1921 – †11.09.1943 / Gefallen / In stillem Gedenken / Deine dich immer liebenden Eltern / Ein Stier. Gelegentlich brauchte er das. Der gelbe Schotterweg. Wie abgenutztes Parkett. Ein Wachmann mit Hund kam ihm entgegen. Wahrlich ein Riesenköter. Mit Maulkorb. An der kurzen Leine geführt.
„Das ist gut. Sie passen auf, dass die Toten nicht ausbrechen.“ Der Wachmann grinste. „Nicht so ganz. Aber in letzter Zeit sind einige Gräber geschändet worden. Drüben bei den Juden. Außerdem treiben sich nachts immer wieder ein paar Kids hier herum. Springen einfach über die Mauer. Machen schwarze Messen oder so was. Darum sind wir hier.“ „Schöner Hund.“ „Er heißt Charly, und ich bin verdammt froh, dass ich ihn nachts bei mir habe.“ Er nickte. „Kann ich mir vorstellen. Nachts auf einem Friedhof“ „Ach wissen Sie, mir macht das nichts aus. Und mit den Geistern bin ich per Du.“ Er lachte. „So, ich muss weiter. Schönen Tag noch.“ Sie zogen ab.

Ein prachtvolles Grab. Gut gepflegt. Alfons Schubert: Rechtsanwalt und Notar / *13.09.1912 – †28.07.1984 / Elfriede Schubert, geb. Kleinschmidt: / *25.08.1915 – †15.08.1990 / Zwei Jungfrauen. Selig vereint. Die Söhne Markus und Michael mit den Frauen Rita und Gabi sowie die Enkelkinder Torsten, Karsten, Silke und Phillip gedenken ihrer. Rechtsanwalt und Notar. Selbst noch im Tod. Die Deutschen sind schon ein komisches Volk. Er sah auf die Uhr. Gleich Fünf.
An der Mauer war ein großes Stück mit Efeu bewachsen. Gustav Lenz: *02.10.1882 – †14.06.1916 / Gefallen für Gott und den Kaiser / Eine Waage. Im Jesusalter. Gebt dem Kaiser … Die Erde über Gustav war vertrocknet. Keine Pflanzen. Nicht mal ein Licht. Auf der Mauer saß eine Dohle.

Er schlenderte weiter. In einiger Entfernung lag ein frisches Grab. Über und über mit Blumen. Noch von Brettern flankiert. Ein Minibagger parkte dort. Der Fahrer war nirgends zu sehen. Vielleicht machte der Pause. Ein Bagger irritierte ihn. Jedes Mal aufs Neue. Ein Anachronismus seiner Vorstellung. Aber die Zeiten von Hacke und Schaufel sind vorbei. Der Tod ist im 21sten Jahrhundert angekommen. Modern und effizient. Gut organisiert.
Der Duft der Blumen lag schwer in der Luft. Er atmete ein. In tiefer Trauer / Deine geliebten Eltern / – Unserem guten Freund. / Deine Klasse 6c / Die Bänder an den Kränzen. Daniel hieß der Junge. Was war passiert mit Daniel. So jung. Und doch. Er sah auf diesen Blumenberg. Sah darüber hinaus. Hörte Rilke. „Der Tod ist groß / Wir sind die Seinen / “ Armer kleiner Daniel. In stillem Gedenken von einem Fremden.
„Kannten sie ihn?“ Er drehte sich um. Ein Mann in Gärtnerkluft. „Nein.“ „Böse Geschichte. Vom LKW überrollt. Beim Zurücksetzen.“ „T’ja …“ Der Gärtner nickte. Dann stieg er in den Bagger, startete den Motor und fuhr los. Armer LKW-Fahrer. Der Himmel war etwas klarer geworden. Er sah noch einmal auf die Blumen. Dachte an den Rückweg. Der Friedhof war groß. Mach’s gut kleiner Daniel. Das Geräusch seiner Schritte auf dem Schotter kam ihm lauter vor.

In dem Waldstück standen monumentalartige Gruften. Mausoleen aus Marmor. Säulenverziert. Und doch verwittert. Patina einer Vergangenheit. In Grün vereint. Er ließ das Wäldchen hinter sich. Kam an eine Reihe mit schlichten Holzkreuzen bevor es zu den Namenlosen ging. Eine Gedenkstätte für die Opfer einer Pest. Wie verschieden es sich doch stirbt.
Zwei alte Frauen kümmerten sich um ein Grab. Die eine brachte Wasser. Die andere zupfte Unkraut. Er grüßte kurz aber sie bemerkten ihn kaum. Ein schönes Grab. Schlichter Stein in Form eines aufgeschlagenen Buches. Liegenderweise. Den Namen konnte er nicht lesen. Die beiden sprachen ganz leise. Und bald schon waren ihre Stimmen verflogen. Er dachte daran, dass der Mensch eigentlich zwei Sternzeichen haben sollte. Ein Geburtszeichen und eins für den Tod. Aber wozu sollte das gut sein? Ich bin gestorben als Wassermann. Mitten im Winter. Nein, das ergab keinen Sinn. Da vorn lag der Eingang Mit seinem abgenutztem Weg, dem mächtigen Tor und einem Hinweisschild. Der Glaskasten zur Orientierung mit Lageplan.

Die ersten Blätter fielen schon. Gelegentlich brauchte er das. Ganz klein sah er den Wachmann und Charly. Bei den Juden vielleicht. Er wusste es nicht.
Das erste Grab auf der rechten Seite gehörte einem Hauptmann. Mächtiger Stein aus einem fernen Jahrhundert. Zum Eingang war es nicht weit. Eine Frau in mittleren Jahren trat ein. Sie trug schwarz. Man nickte sich zu. Die Tür der kleinen Kapelle stand offen. Diese Kapellen haben einen ganz eigenen Duft. Überall gleich. Er blickte noch einmal zurück. Der Dame in Schwarz hinterher. Ihr Hintern wackelte. Sie trug eine Tüte. Blumen vielleicht. Kam gerade beim Hauptmann vorbei. Soldatenträume schwarzweiß. Ein leichter Wind ging. Das Geräusch seiner Schuhe im Wendekreis. Er atmete noch einmal tief ein. Dann durchschritt er das Tor, wo die Straße ihn gleichgültig aufnahm.

© Ulrich P. Hinz

 

Foto von Pixabay

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